Montag, 14. Juni 2021

Trauer und Tod

Von einem Moment zum anderen

Heute ist wieder einer dieser Tage, an denen ich meine Mutter besonders vermisse. Vor über einem Jahr starb sie an einem schönen Spätvormittag im April an den Folgen eines Pankreaskarzinoms. Die Diagnose war erst gut zwei Monate zuvor gestellt worden. Es folgten OP, Reha, weitere CTs und Untersuchungen und die Erkenntnis, dass nichts mehr hilft.

Heute Morgen habe ich im Garten gearbeitet. Die Tausendschön sind mittlerweile verblüht und das Giersch (Teufelszeug! sagen die einen, Lecker! sagen die anderen) war im Begriff, die Herrschaft zu übernehmen. Mehrere Stunden habe ich den Schatten ausgenutzt, den bis mittags eine wunderschöne, große Rotbuche spendet. Ich rupfte und zupfte und kämpfte mal wieder mit den Dornen des Rosenstrauchs, die meinen Arm zerkratzten. Glücklich und erschöpft kam ich anschließend in die Wohnung. Mein erster Gedanke  war: Jetzt rufe ich Mama an und erzähle ihr, was ich heute schon geschafft habe - nicht ohne im selben Moment von der Erkenntnis überfallen zu werden, dass das nicht mehr geht, nie wieder.


Umgang mit der Trauer

In solchen Augenblicken wird die Trauer wieder schmerzhaft, kaum auszuhalten. Was dann hilft: viel und ausgiebig weinen. Früher habe ich versucht, die Tränen zurückzuhalten, keine gute Idee. Heute “lasse ich laufen”, wie man bei uns sagt und merke, dass mit der Anzahl der vollgerotzten und -gewässerten Taschentücher der Schmerz langsam weicht.

(Was mir noch hilft: Mit meiner Schwester telefonieren! Mit den Hunden in den Wald gehen! Alte Fotos anschauen! Mario Kart spielen! Die eigenen Kinder mit Whatsapp-Nachrichten nerven! Schreiben!)

In der ersten Zeit nach dem Tod meiner Mutter waren solche Tage gar nicht oder nur sehr selten. Es ging vielmehr darum, meinen Vater nach 60 gemeinsamen Jahren mit meiner Mutter aufzufangen und dafür zu sorgen, dass er das erste Jahr ohne seine Inge übersteht. Meine Schwester und ich haben die eigene Trauer “auf später” geschoben. Eine Reflektion dessen, was im letzten Jahr und vor allem in den Monaten und Wochen davor geschehen ist, kann erst jetzt erfolgen. Manchmal kommt es mit Macht (wie heute), manchmal leise und als kleine Traurigkeit, die sich kurz zu mir gesellt und rasch wieder verfliegt.


Jetzt ist es Nachmittag, dieser Sommertag ist einfach perfekt. Ich denke mit Liebe an meine Mutter, an unsere Diskussionen, die Streitigkeiten, die innige Momente und meine späte Erkenntnis, dass ich viel von ihr in mir habe. Die Rotbuche sehe ich jetzt von der Terrasse aus, die Blätter rascheln ganz leise im Wind - so ein wunderschönes Geräusch. Ich denke an Mama und erzähle ihr in Gedanken davon. 




Montag, 27. Januar 2020

Vor fünf Jahren....

Ich sitze im Wohnzimmer und stocke. Es ist der 27. Januar - ja natürlich: vor genau fünf Jahren, um viertel nach drei, stand ich im Vernichtungslager Birkenau und wartete wie viele andere Geladene auf die Eröffnung der Feierlichkeiten anlässlich der Befreiung von Auschwitz. Ich war angespannt. Als das Orchester zu spielen begann und gleichzeitig  mein Handy in der Tasche vibrierte, ich die Bochumer Nummer sah, da wusste ich tief im Innern: es wird nichts mehr sein, wie es war. 

Aber hier sitze ich! Im Wohnzimmer. Mit zwei Hunden, die sich an mich kuscheln. Mit einer immer mehr verblassenden Narbe auf dem Rücken. Mit so vielen neuen und wertvollen Freund*innen, die ich ohne Melanom nie kennengelernt hätte. Mit einem riesen Erfahrungsschatz zu meiner Krankheit und dem guten Gefühl, jeden Tag helfen zu können, z.B. Menschen, die gerade erst am Beginn ihrer Melanomreise stehen.

Vor fünf Jahren begann die Reise. Zuerst waren da viele Ungewissheiten und Ängste. Die Sehnsucht nach dem alten, unbeschwerten Leben ohne Schiss vor der Sonne und der UV-Strahlung. Das Verstecken im Schatten und die Panik, wenn's durch die mittägliche Sonne ging und ich nicht eingecremt war.
Und dann die Zeit, als ich aktiv wurde. Erst habe ich den Blog geschrieben, er hat mir geholfen, meine Erlebnisse und Gefühle zu verarbeiten. Als ich dann die Facebookgruppe entdeckte, die damals süße 90 Mitglieder hatte (heute fast 1.600), war mein Weg fast vorgezeichnet.

Wo stehe ich heute?
Ich leite gemeinsam mit einer großartigen Frau und Freundin die größte Online-Community für Hautkrebspatient*innen deutschlandweit. Wir haben einen Verein gegründet: "Melanom Info Deutschland - MID". Durch unserer online-Gruppe haben sich 10 Selbsthilfegruppen vor Ort gebildet, die sich regelmäßig treffen. Wir hatten ein BarCamp zum Thema "Was bewegt Menschen mit Hautkrebs" in Frankfurt und ich werde am Mittwoch zur Nationalen Versorgungskonferenz Hautkrebs (NVKH) fahren und dort gemeinsam mit Herrn Dr. Strömer vom BVDD die Veranstaltung moderieren. Wir haben einen guten Draht zu den führenden Dermato-Onkolog*innen Deutschlands und können uns jederzeit fachlichen Rat holen.

Das Leben mit Melanom hätte ich mir vor fünf Jahren nicht so vorgestellt. Es ist gut, dass es ist, wie es ist.


Sonntag, 4. November 2018

Trigger me up, Scotty!

Dieser Moment, wenn du neben dem Liebsten auf der Couch sitzt, ihr eine nette Serie schaut, du seinen neuen Haarschnitt begutachtest und dann....

Eigentlich dachte ich, dass meine Sichtweise auf verdächtige Muttermale mittlerweile professionell und mit einer gewissen Distanz geschähe. Die Fotos, die ich fast täglich in unserer Facebook-Gruppe sehe, lassen mein Hirn sofort während des Betrachtens auf die klassische Begutachtung (ABCDE-Regel, Ugly Ducking) schalten. "Aha, interessant!" denke ich, oder "Mensch, dieses Melanom hätte ich auch nicht als ein solches erkannt...", dann wieder: "Klassisch!". Es gibt sogar ein Album mit Melanomen der Gruppenmitglieder, das ich wälze, wenn jemand ein Foto mit einem verdächtigem Mal postet. (Natürlich raten wir letztendlich immer dazu, die entsprechende Stelle beim Dermatologen untersuchen zu lassen. Für die betroffenen Mitglieder ist es aber eine große Erleichterung, zunächst über ihre Angst reden zu können und Zuspruch von anderen Gruppenmitgliedern zu erhalten. Eine erste Einschätzung ist zudem auch hilfreich.)

So saß ich also vor ein paar Tagen entspannt und zufrieden auf dem neuen Sofa, mein Liebster und die Tochter zu meiner Linken - eine ungehörige Menge an Knabberzeugs und süßer Schweinskram vor uns. Unsere Lieblingsserie lief.  Mein Mann machte wieder einmal einen platten Witz, ich drehte mich in seine Richtung, wollte gerade etwas entgegnen - als ich diese Stelle knapp hinter seinem Ohr sah. Etwas dunkles versteckte sich hinter dem kurz geschorenen, grauen Haar. Behutsam nahm ich die Stoppel zur Seite und erstarrte. Ich sah ein unregelmäßiges, erhabenes, sehr dunkles Muttermal, das vor ein paar Wochen noch nicht dort war. "Was ist los?", fragte mein Mann. "Juckt dir hinter dem Ohr was? Oder schmerzt es hier?", erwiderte ich und legte meinen Finger auf die betreffende Stelle. "Nein, alles gut. Hast du was gefunden?", flüsterte er, um meine Tochter nicht zu stören, die schon wieder genervt rüber blickte. Ich konnte meine Augen nicht von dem Ding wenden - konnte das wirklich sein? Panik stieg auf. Ich schoss ein paar Handyfotos, die meine Angst nicht gerade linderten. Natürlich war es Freitagabend und natürlich macht man diese Entdeckungen zu 95% an einem Freitagabend, wenn bereits alle Arztpraxen geschlossen haben. Der Abend war für mich gelaufen. Ich versuchte, die aufkommenden Gedanken zu unterdrücken und ging recht früh schlafen.

Die Nacht verlief unruhig. Am frühen Morgen verfolgte ich auf Facebook die Morgengrüße unserer Mitglieder. Hier kann man alles lesen, vom knackigen "Moin" bis hin zu persönlichen kurzen Geschichten, wie der Tag geplant oder wie die Gefühlslage ist. Mein Post, dass mir das komische Ding am Kopf meines Mannes Sorgen macht, wurde auch von meiner Freundin Astrid gelesen, die die Online-Gruppe mit ihrer unnachahmlichen Herzlichkeit und ihrem enormen medizinischen Fachwissen zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Kaum fünf Minuten später hatte ich eine Privatnachricht, ob ich ein Foto hätte und dass mich dieses Ding sicher beunruhige. Ab dem Moment brachen alle Gefühle wie eine Flutwelle über mich herein. Ich war gefühlsmäßig plötzlich wieder im Jahr 2015, verwundbar, kurz vor der nächsten Panik und völlig verloren vor Angst. Wie gut, dass es in dem Moment geschah, als ich mit Astrid in Kontakt stand. Sie schaffte es, mich innerhalb von Minuten zu beruhigen, meine Sorgen ernst zu nehmen, aber die Situation trotzdem realistisch einzuschätzen und mich mit ihren fachlichen Ratschlägen auf den Boden zurückzuholen.

Die vergangenen Tage haben mir deutlich gemacht, dass die Angst mich mein Leben begleiten wird, dass ich sie aber immer besser im Griff habe. Und dass es auch nicht schlimm ist, wenn sie mal wiederkommt, denn ich habe so eine tolle Community, auf die ich mich verlassen kann und vor allem eine wunderbare Freundin (die ich ohne die Krankheit nicht kennengelernt hätte). Ich habe zum ersten Mal die Angst der Angehörigen gespürt, die auch Teil unserer Gruppe sind und ich bin mehr als froh, dass wir uns damals entschieden haben, Betroffene und Angehörige zuzulassen.


Morgen früh geht der Mann zur Ärztin. Er soll es nicht wagen, sich abwimmeln zu lassen.



Sonntag, 12. November 2017

Ach, du liebe Zeit....

NATÜRLICH würde ich gern mehr hier schreiben. Ich hätte aber auch gern zehn Stunden mehr Zeit am Tag....
Zur Zeit engagiere ich mich sehr in unserer Facebookgruppe und auf der Facebookseite "Melanom Info Deutschland - MID"... neben einem Ganztagsjob und Familie & Co. Wenn ihr also mehr von mir lesen möchtet, werdet Mitglied der Facebookgruppe "Diagnose Hautkrebs - wir lassen dich nicht allein!" oder informiert euch über neueste Entwicklungen zum Thema Hautkrebs auf unserer Seite "MID".

Freitag, 19. Mai 2017

Alle Zeit der Welt

Ich komme mir oft wie die Moraltante vor, wenn ich bei Freunden und Bekannten dafür werbe, zum Hautscreening zu gehen. Die Reaktion schwankt zwischen "Ja, ja, jetzt kommt die Leier mal wieder" bis "Gut, dass du erzählst, aber interessiert mich nicht". Ich gebe zu, ein ganz geringer Teil nimmt meine Sorgen ernst und lässt sich untersuchen. Ich habe trotzdem das Gefühl, mich zum Hansel zu machen. Wie kommt es, dass die Leute immer noch nicht im Kopf haben, dass die Melanomerkennung eine Sache ist, die mit Zeit zu tun hat?!? Und dass ihr Leben eventuell davon abhängt, wenn sie sich selbst immer vertrösten?

Mein Kollegin steht bei mir im Büro und erzählt vom letzten Urlaub. Es war traumhaft, sie sind viel gewandert und haben grandiose Ausflüge gemacht und das Wetter war Bombe. "Hab mich erst mal total verbrannt", erzählt sie, die Hellhäutige mit den blonden Haaren, mit einem Lachen. Mir bleibt ebendies im Halse stecken. Soll ich jetzt wieder einsteigen? Den Moralapostel geben und sagen: du du du, das ist aber nicht gut für deine Haut, davon kannst du Krebs bekommen? Fragen, wann die letzte Hautuntersuchung war, denn dieses Muttermal am Arm sieht nicht gut aus? Nach dem Sonnenschutz fragen, den sie normalerweise aufträgt? ....

Ganz ehrlich: mal so, mal so. Vor einem Jahr noch konnte ich es mir in keiner Situation verkneifen, darauf hinzuweisen, dass eine Früherkennung Leben retten kann. Dass ein Melanom erst dann so richtig gefährlich wird, wenn es zu spät entdeckt wird und bereits metastasiert hat. Die gleichgültigen bis genervten Blicke lassen mich heute wirklich nur noch dann reagieren, wenn ich das Gefühl habe, dass meine Botschaft ankommen könnte. Meine Strategie hat sich geändert: ich erzähle mehr von mir, von meiner Krankheitsgeschichte. Den moralischen Zeigefinger sieht niemand gern, aber der Bericht über ein persönliches Schicksal führt für viele Zuhörende dann doch zum Hautarzt. Und zwar ein paar Monate früher als vielleicht geplant und somit früh genug, um eine dysplastische Veränderung (Vorstufe) rausschneiden zu lassen. Oder früh genug, um eine Eindringtiefe von unter 0,75 Millimeter zu entfernen. Die Vorstellung, dass 0,25 mm eventuell über dein Leben entscheiden und diese 0,25 mm vielleicht mit dem Zeitpunkt zu tun haben, wann du beim Dermatologen warst, muss doch erstmal bei den Leuten ankommen. In den Niederlanden werden viele Melanome zu einem späteren Zeitpunkt entdeckt als in Deutschland, was damit zu tun hat, dass dort zunächst mal alles über den Hausarzt läuft. Wenn dieser die Situation falsch interpretiert oder sich Zeit lässt mit der Überweisung, ist es manchmal schon zu spät. Auch noch so ein Grund für einen frühzeitigen Besuch beim Arzt....

Bis vor Kurzem konnte ich noch nicht so gut darüber sprechen, aber mit zunehmendem Abstand ist es möglich, nicht nur zu schreiben, sondern auch darüber zu reden. Wahrscheinlich sowohl für mich als auch die anderen die bessere Alternative. :-)

Link:
Linksammlung vom Netzwerk Hautkrebs Deutschland
Aim at Melanoma: Früherkennung


Mittwoch, 3. Mai 2017

Alles neu macht der Mai...?!?

Der Mai ist internationaler Awareness Month (Awareness=Bewusstsein oder Auklärungsmonat) im Kampf gegen Hautkrebs. Erstaunlicherweise wird dies im deutschaprachigen Raum kaum wahrgenommen und auch nicht zelebriert. Ganz anders in England oder Amerika.

In der Hautkrebs-Facebookgruppe schreibt eine junge Frau, die in Amerika lebt, am 1. Mai: "Guten Morgen! Wie begeht ihr den heutigen Melanoma Monday? Wir tragen hier alle schwarz und es gibt ganz viele Kampagnen, um auf unsere Krankheit aufmerksam zu machen." Melanoma Monday? Melanoma Awareness Month? Das sind alles Begriffe, die in Deutschland nicht oder nur rudimentär bekannt sind. Eine Tradition oder Kultur, sich mit dem Hautkrebs in dieser Form auseinanderzusetzen gibt es leider (immer noch) nicht.
Ganz im Gegenteil dazu wird der Mai in englischsprachigen Ländern zur Aufklärung genutzt. Die Gefahren von Sonnenbrand werden dargestellt, die ABCDE-Regel vorgestellt, es finden Charity-Veranstaltungen zum Thema statt. Die schwarze Schleife, das Symbol für den Kampf gegen Hautkrebs, wird getragen.
Der Bundesverband der Dermatologinnen und Dermatologen in Deutschland bietet im Mai die Kampagne "Euromelanoma" unter dem Motto "Ihr habt nur die eine Haut" an, die europaweit über die Gründe gibt es dafür, dass ein solch wEuropäischen Akademie für Dermatologie und Venerologie (EADV) organisiert wird. Habt ihr noch nie von gehört? Ich auch nicht und ich frage mich, wie es kommt, dass in anderen Ländern ein anderes Verständnis für Hautkrebs besteht als in Deutschland. Um den Post nicht allzu lang werden zu lassen, beschäftige ich mich zunächst mit der Begrifflichkeit "Hautkrebs":

Mir ist aufgefallen, dass der Begriff "Hautkrebs" in anderen Ländern auch genutzt wird, ein viel gebräuchlicherer Begriff ist aber "Melanoma" (z.B. melanoma.uk - eine ganz tolle Patientenorganisation in England) - was bedeutet, dass es nur um den schwarzen Hautkrebs geht und nicht - wie in Deutschland üblich - alles in einen Topf geworfen wird. Die gängige Meinung in Deutschland ist zum Thema Hautkrebs: "oh schlimm, aber es wird ja raus geschnitten und dann ist alles wieder gut." Das kann auch keinem verübelt werden, denn für bestimmte Hautkrebsarten stimmt es ja auch. Hautkrebs ist meines Wissens die einzige Krebsart, die in einer light-Variante (nicht metastasierend, heilbar durch Wegschneiden oder Salbe) und einer Hammerversion (Malignes Melanom) existiert.
Dass der schwarze Hautkrebs, das Melanom, eine hinterhältige, tödliche Krankheit ist, an der auch zunehmend junge Menschen erkranken und sterben, wird durch die Nutzung des Oberbegriffs "Hautkrebs" verharmlost. Es wäre also tatsächlich eine Überlegung wert, dem Wort "Melanom" eine größere Bedeutung zuzumessen. Dies könnte in offiziellen Broschüren zur Patientenaufklärung sein, aber auch in Zeitungsartikeln. So, da mache ich mir jetzt mal noch ein paar Gedanken zu und melde mich bald wieder.


Dienstag, 13. Dezember 2016

Long time no see

Nach sieben Monaten mal wieder was zu schreiben, ist harter Stoff. Nicht, dass ich die Krankheit in dieser "Nichtschreibzeit" vergessen oder verdrängt hätte.... irgendwie konnte ich nicht schreiben. Und das war echt tragisch.

Puh, das Jahr ist schon fast wieder um. Mein letzter Post ist vom Mai. Mehr als ein halbes Jahr habe ich nichts geschrieben. Ich hatte tausend Ideen, unzählige Themen, die mir noch wichtig sind, jeden Tag neue Gedanken - und trotzdem kam  nichts hier an. Sobald ich mich an den Computer setzte, schaltete sich mein Gehirn aus. Jetzt weiß ich zumindest mal, wie das so ist, wenn der Kopf voller neuer Geschichten ist und die sich alle weigern, das Licht der Öffentlichkeit zu erblicken. Furchtbar.
Vor allem, weil ich weiß, dass Schreiben zu meinem Weg gehört, mit dem ich den Hautkrebs verarbeite.
Ich schreibe und es hilft mir unmittelbar. Andere gehen zum Yoga, machen Töpferkurse, trennen sich von Partnern, kündigen den Job... ich schreibe. Durch das Schreiben entsteht ein Distanz zu dem, was passiert ist. Ich fühle im Moment des Schreibens, wie es mir geht und bin fast gleichzeitig dazu in der Lage, das Geschriebene reflektiert zu betrachten. Das ist großartig, denn ich kann die Sorgen, die schlechten Tage abgeben; vor zehn Jahren wäre das wohl noch ein Tagebuch gewesen, jetzt ist es ein Blog. Das Abgeben bewirkt, dass ich mich auch weiter entwickeln kann. Ich lese den Blog und sage: Ach, guck mal, vor einem Jahr standest du noch dort, jetzt bist du hier. Du hast dich entwickelt. Die Krankheit hat sich entwickelt, verändert, ist kleiner geworden in deinem Kopf.

Da ist so ein Ding an meinem Rücken. Das juckt und tut weh. Vor einem Jahr hätte ich bereits bei den ersten Anzeichen die Ärztin aufgesucht. Heute warte ich. Vertraue auf mein Gefühl, aber auch auf die zahllosen Fotos, die ich von dem Ding mache. Wenn es in der nächsten Woche noch weh tut, gehe ich zur Hautärztin. Danke, Blog, das ich dir das schreiben kann.


Mittwoch, 11. Mai 2016

Arsch auf Grundeis

Es ist doch jedes Mal das selbe: sobald der Nachsorgetermin näher rückt, werde ich nervös, unausstehlich, bin schlecht gelaunt, müffel alle an und bin schon beleidigt, wenn man mich nur anspricht. Jetzt merke ich: das ist die pure Angst vor dem bevorstehenden Termin. Auch wenn es dir noch so gut geht - kurz vor der Nachsorge werden Mechnaismen in Gang gesetzt, gegen die du dich nicht wehren kannst. Dafür ist danach alles umso relaxter.


Ich liege im Bett und versuche zu lesen. Mein Mann schnarcht neben mir - Gott sei Dank quatscht er mich nicht zu. Morgen ist der Nachsorgetermin. Eigentlich gibt es nichts, was mich beunruhigen müsste. Alle Stellen meines Körpers werden nach wie vor genaustens von mir kontrolliert. Es gibt einige Muttermale, die meine besonderen Augensterne sind - aber auch hier nichts, was mich unruhig machen sollte.
Trotzdem: ich wälze mich im Schlaf, mal ist es zu heiß, mal zu kalt. Um 5:00 Uhr gebe ich auf. Da hilft nur aufstehen.

Im Januar 2015 wurde das Melanom bei mir entfernt, es ist die erste Untersuchung, die nach mehr als einem Jahr durchgeführt wird. Ich stehe auf der A40 im Stau, habe Panik, dass ich nicht mehr pünktlich in Bochum bin und biege dann doch um 8:12 Uhr ins Parkhaus des St. Josef-Hospitals ein. Wie immer, werde ich nett begrüßt am Empfang der dermatologischen Ambulanz. Keine Überweisung vom Hautarzt dabei? Äh, nein, die ist im Urlaub und mir ist erst gestern eingefallen, dass ich noch diesen Wisch brauche..... Kein Problem, ich darf trotzdem im Wartezimmer Platz nehmen. "Frau K., bitte in U4", höre ich nach einer kurzen Wartezeit. Die junge Ärztin begrüßt mich und sagt: "Machen Sie sich schon mal frei, ich hole schnell das Auflichtmikroskop." Juchu, das Auflichtsmikroskop! Von anderen Betroffenen hatte ich gehört, dass die Leitlinien neuerdings vorgeben, nur noch die Narbe des Nachschnitts ausführlich zu untersuchen und ansonsten kurz über den Körper zu gucken. Es ist anders: ich werde ausführlich untersucht und die Ärztin nimmt sich für zwei Stellen besonders viel Zeit und das sind genau die beiden dunklen Male, die mich derzeit am meisten beschäftigen, weil sie so extrem schwarz sind. "Wenn es Ihnen damit besser geht, lassen wir die beiden Stellen entfernen." Ich überlege einen Moment und sage: "Nein, ich werde weiterhin ein Auge drauf haben." ....! Habe ich das gerade wirklich gesagt? Mir schießt durch den Kopf, dass ich noch zurück rudern kann. Aber ich bleibe dabei. Tapferes Mädchen.
"So, dann wären wir eigentlich schon durch. Es sei denn, Sie möchten auch eine Bestimmung des S100 durchführen lassen." Ja, ich will. Mein letzter S100-Wert lag vor sechs Monaten bei 0,14, also noch knapp im Normwert. Wenn er sich in diesem Zeitraum noch einmal erhöht hat, muss ich beginnen mir Sorgen zu machen. Aber soweit ist es ja noch lange nicht.
Langsam fällt die Anspannung von mir ab. Ich fahre zur Arbeit und bin ein äußerst umsichtige und nette Autofahrerin. Die Sonne scheint, es duftet nach Flieder. Der Sommer kann kommen.

Mittwoch, 4. Mai 2016

Neue Untersuchungsmethoden mithilfe der "optical coherence tomography"

Die "Lokalzeit Ruhr" des WDR hat am gestrigen Tage eine kurze Reportage über eine neue Untersuchungsmethode gesendet.
Mithilfe eines "optical coherence tomography"-Geräts ist es schneller und leichter möglich, (vor allem weißen) Hautkrebs zu erkennen. Die Untersuchung wird am St. Josef-Krankenhaus in Bochum angeboten und wissenschaftlich begleitet. Ich bin gespannt, ob ich auch in den "Genuss" dieses Geräts komme, wenn ich am nächsten Mittwoch meine Nachsorgeuntersuchung dort habe.

Sendung "Lokalzeit Ruhr" am 3. Mai 2016

Leider wird die Untersuchung noch nicht von den Krankenkassen übernommen, aber anscheinend "wird daran gearbeitet"....

Hier gibt es mehr Infos zum Verfahren "optical coherence tomography".

Freitag, 4. März 2016

Glückskinder

Es ist März, draußen schneit es große Flocken – Schnee, der nicht liegen bleibt. Ein kalter Wind pfeift um die Häuser und die Welt sieht grau aus. Ich sitze im Büro und versuche, die schlechte Laune wegzuarbeiten.
Mein Kollege kommt ins Büro und begrüßt mich mit einer Umarmung. Wir haben uns schon lange nicht mehr unterhalten. Im vergangenen Herbst ist bei ihm durch eine Krebserkrankung festgestellt worden. Seitdem hat er das volle Programm mitgemacht , OP – AHB etc. Fast ein halbes Jahr war er aus dem Verkehr gezogen.
Jetzt stehen wir beieinander und erzählen, wie es uns ergangen ist. Gut sieht er aus, mein Kollege, denke ich so bei mir. Und ich merke, dass er auch gut drauf ist. Die Reha war genau richtig, die OPs waren erfolgreich. Wir beide denken an unsere Kinder, die jetzt schon fast erwachsen sind und kommen so auf ein anderes Thema. „Ich habe oft an dich gedacht in der Zeit, in der du weg warst“, sage ich. Er antwortet: „Weißt du, das habe ich gemerkt. Ich hatte das Gefühl, auf einer Welle getragen zu werden.“ Wir sind uns schnell einig: Diese Welle der Freundschaft und Liebe hat uns in einer schweren Zeit immer über Wasser gehalten – auch jetzt noch.

Wir fragen beide nicht, warum es gerade einen selbst getroffen hat. Die Frage ist müßig, denn sie ist nicht zu beantworten. Letzten Endes sind wir beide durch Zufall auf unsere Erkrankung gestoßen. Wenn wir es ein Jahr später entdeckt hätten, wäre der Verlauf mit großer Sicherheit ein anderer gewesen. 

So kommen wir zu dem Schluss, dass wir die Sache doch mal anders rum sehen müssen: wir hatten ein wahnsinniges Glück  - wir sind echte Glückskinder. Das Wetter draußen ist immer noch schlecht, meine Laune jedoch ist für dieses Wochenende gerettet.