Dienstag, 24. Februar 2015

Wenn dich der Alltag nicht einholt




Ich bin entlassen. Der junge Arzt drückt mir die Papiere in die Hand. Es ist halb zwölf, ich kann nach Hause fahren.
Am Vormittag wurden die Lymphknoten untersucht, alles unauffällig. Das Gewebe, das während der OP rausgeschnitten wurde, ist noch im Labor. Ich packe meine Sachen, verabschiede mich von meiner Bettnachbarin und gehe zum Arztzimmer.

"Hier ist Ihr Nachsorgepass", sagt der Arzt im Tagesraum der Klinik und drückt mir einen orangen Plastikumschlag in Form eines Taschenkalenders in die Hand. "Außerdem erhalten Sie den Arztbrief, er ist zwar noch nicht unterzeichnet, aber falls Sie einen Termin haben, können Sie ihn schon einmal mitnehmen. Bitte lassen Sie die Wunde auf Ihrem Rücken regelmäßig vom Arzt überprüfen. Ich wünsche Ihnen alles Gute." - "Äh, Moment, ich habe noch einige Fragen......". Gut, dass ich alles in die Notizblockfunktion meines eBooks gekritzelt habe. Fragen zum Antibiotikum, zur weiteren Behandlung, zur Nachsorge werden an Ort und Stelle - im Tagesraum vor weiteren, mir unbekannten Personen geklärt. Mir macht das nichts aus, den wartenden Menschen augenscheinlich schon. Ob die junge Frau da vorne eine ähnliche Diagnose hat? Und sich jetzt erst recht Gedanken machen?
Nicht drüber nachdenken - jetzt heißt es erst einmal raus hier. Ich suche meine Tasche, sie steht genau neben mir. Ich gehe zum Parkhaus und kann es kaum glauben: mein Geld reicht nicht für den Parkautomaten. Also wieder rein ins Foyer, dort steht ein Geldautomat der Sparkasse. Meine Karte wird nicht akzeptiert. Ich werde verrückt, muss ich etwa noch länger hier bleiben? Schließlich funktioniert alles und ich kann zum Auto. Wo ist der Schlüssel? Minutenlanges Suchen. Ich finde den Schlüssel in meiner Jackentasche. Das Gefühl, dass nichts mehr am richtige Platz ist, holt mich wieder ein.
Zuhause lese ich den Arztbericht. Zum ersten Mal sehe ich schwarz auf weiß meine Diagnose.

Aktuelles Stadium: 1a! Na, das hört sich doch prima an. 1a, tippi toppi, einwandfrei! Ich merke, dass ich zum Sarkasmus neige. Erstaunlicherweise steht im Arztbericht ebenfalls, dass ich in "reduziertem Allgemeinzustand" in der Klinik aufgenommen worden sei und diese im "stabilen Allgemeinzustand" wieder verlassen hätte. Moment, da muss ich widersprechen. Um ehrlich zu sein, geht es mir gerade einfach nur schlecht. Ich bin nicht in der Lage, von jetzt auf gleich wieder auf Alltag umzuschalten.
Wie sieht mein Rücken überhaupt aus? Der Schnitt?
Bild vom 8.2.2015

Die Kinder kommen nach Hause, ich bin abgelenkt - dem Himmel sei Dank. Ich beschließe, am nächsten Morgen zu meiner Hausärztin zu gehen. Was ist nur mit mir los? Alles sollte gut sein. Hallo Alltag, wo bist du?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen