Sonntag, 4. November 2018

Trigger me up, Scotty!

Dieser Moment, wenn du neben dem Liebsten auf der Couch sitzt, ihr eine nette Serie schaut, du seinen neuen Haarschnitt begutachtest und dann....

Eigentlich dachte ich, dass meine Sichtweise auf verdächtige Muttermale mittlerweile professionell und mit einer gewissen Distanz geschähe. Die Fotos, die ich fast täglich in unserer Facebook-Gruppe sehe, lassen mein Hirn sofort während des Betrachtens auf die klassische Begutachtung (ABCDE-Regel, Ugly Ducking) schalten. "Aha, interessant!" denke ich, oder "Mensch, dieses Melanom hätte ich auch nicht als ein solches erkannt...", dann wieder: "Klassisch!". Es gibt sogar ein Album mit Melanomen der Gruppenmitglieder, das ich wälze, wenn jemand ein Foto mit einem verdächtigem Mal postet. (Natürlich raten wir letztendlich immer dazu, die entsprechende Stelle beim Dermatologen untersuchen zu lassen. Für die betroffenen Mitglieder ist es aber eine große Erleichterung, zunächst über ihre Angst reden zu können und Zuspruch von anderen Gruppenmitgliedern zu erhalten. Eine erste Einschätzung ist zudem auch hilfreich.)

So saß ich also vor ein paar Tagen entspannt und zufrieden auf dem neuen Sofa, mein Liebster und die Tochter zu meiner Linken - eine ungehörige Menge an Knabberzeugs und süßer Schweinskram vor uns. Unsere Lieblingsserie lief.  Mein Mann machte wieder einmal einen platten Witz, ich drehte mich in seine Richtung, wollte gerade etwas entgegnen - als ich diese Stelle knapp hinter seinem Ohr sah. Etwas dunkles versteckte sich hinter dem kurz geschorenen, grauen Haar. Behutsam nahm ich die Stoppel zur Seite und erstarrte. Ich sah ein unregelmäßiges, erhabenes, sehr dunkles Muttermal, das vor ein paar Wochen noch nicht dort war. "Was ist los?", fragte mein Mann. "Juckt dir hinter dem Ohr was? Oder schmerzt es hier?", erwiderte ich und legte meinen Finger auf die betreffende Stelle. "Nein, alles gut. Hast du was gefunden?", flüsterte er, um meine Tochter nicht zu stören, die schon wieder genervt rüber blickte. Ich konnte meine Augen nicht von dem Ding wenden - konnte das wirklich sein? Panik stieg auf. Ich schoss ein paar Handyfotos, die meine Angst nicht gerade linderten. Natürlich war es Freitagabend und natürlich macht man diese Entdeckungen zu 95% an einem Freitagabend, wenn bereits alle Arztpraxen geschlossen haben. Der Abend war für mich gelaufen. Ich versuchte, die aufkommenden Gedanken zu unterdrücken und ging recht früh schlafen.

Die Nacht verlief unruhig. Am frühen Morgen verfolgte ich auf Facebook die Morgengrüße unserer Mitglieder. Hier kann man alles lesen, vom knackigen "Moin" bis hin zu persönlichen kurzen Geschichten, wie der Tag geplant oder wie die Gefühlslage ist. Mein Post, dass mir das komische Ding am Kopf meines Mannes Sorgen macht, wurde auch von meiner Freundin Astrid gelesen, die die Online-Gruppe mit ihrer unnachahmlichen Herzlichkeit und ihrem enormen medizinischen Fachwissen zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Kaum fünf Minuten später hatte ich eine Privatnachricht, ob ich ein Foto hätte und dass mich dieses Ding sicher beunruhige. Ab dem Moment brachen alle Gefühle wie eine Flutwelle über mich herein. Ich war gefühlsmäßig plötzlich wieder im Jahr 2015, verwundbar, kurz vor der nächsten Panik und völlig verloren vor Angst. Wie gut, dass es in dem Moment geschah, als ich mit Astrid in Kontakt stand. Sie schaffte es, mich innerhalb von Minuten zu beruhigen, meine Sorgen ernst zu nehmen, aber die Situation trotzdem realistisch einzuschätzen und mich mit ihren fachlichen Ratschlägen auf den Boden zurückzuholen.

Die vergangenen Tage haben mir deutlich gemacht, dass die Angst mich mein Leben begleiten wird, dass ich sie aber immer besser im Griff habe. Und dass es auch nicht schlimm ist, wenn sie mal wiederkommt, denn ich habe so eine tolle Community, auf die ich mich verlassen kann und vor allem eine wunderbare Freundin (die ich ohne die Krankheit nicht kennengelernt hätte). Ich habe zum ersten Mal die Angst der Angehörigen gespürt, die auch Teil unserer Gruppe sind und ich bin mehr als froh, dass wir uns damals entschieden haben, Betroffene und Angehörige zuzulassen.


Morgen früh geht der Mann zur Ärztin. Er soll es nicht wagen, sich abwimmeln zu lassen.